Und noch ein Wort, und noch eines …

Heute zeige ich Ihnen mal ein gutes Beispiel für gehobene Unterhaltungsliteratur und wie man wirklich gut schreibt. Kein Wunder, Sie sehen ein Ausschnitt aus einem Buch von Harlan Coben. Und wenn Sie nun zucken und den Namen nicht einordnen können: Coben ist einer der erfolgreichsten Kriminal-Bindestrich-Thriller-Schriftsteller der USA, wenn nicht neben Stephen King der erfolgreichste. Und während sein großer Kollege Stephen King immer gern ins Surreale abdriftet, bleibt ω Harlan Coben immer in dieser Welt, meist in New Jersey.

So, genug der Erläuterung Sie lesen einen Absatz aus dem ersten Buch der ω Myron-BolitarReihe von Coben.

Lektoriere ich Werke, so wissen die Autoren, dass ich bei jedem Satz über 28 bis 30 Wörter mit der Kalaschnikow vor deren Haustür stehe. Wobei ich die Wörter nicht selbst zähle. Ich habe mein Programm so eingestellt, dass mir jeder Satz über 30 Wörter angezeigt wird.

In meiner Volontärs-Zeit habe ich gelernt, dass Leser bei Sätzen dieser Länge aussetzen (Sie lesen gleich zwei Mal Se/ätzen, herrlich, nicht wahr?); der große Wolf Schneider bestärkt mich in dieser Ansicht, ebenso Untersuchungen, die in den Achtzigern gemacht wurden und gewiss heute noch gültig sind. Der Leser, das träge Tier, steigt einfach aus und sucht den nächsten Absatz. Und bitte, warum schreibe ich, wenn der Leser aussteigt?

Mit diesem Wissen gehe ich mal an Cobens Text. Gemarkert habe ich drei Sätze. Der erste geht bis … entfernen ließ und hat 66 Wörter; der zweite hat nur sechs Wörter; der dritte geht bis zum Ende und hat 42 Wörter.

Genauer: Der erste Satz erreicht Wort Nummer 30, wenn sie Lebens lesen; der dritte wäre nach meinen Kriterien bei … : ein vorbei.

Und nun lesen Sie bitte noch mal. Es funktioniert, Sie steigen nicht aus, Sie sind amüsiert, Sie freuen sich an den Sprachbildern, die Coben entwirft – es ist einfach ein guter Text. Mit einer Ausnahme, auf die ich noch komme.

Große Autoren können das. Große Autoren wissen auch, dass man nicht einen 66-Wörter-Satz vor einen mit 42 Wörtern stellt. Zwischen die beiden klemmt er einen Satz mit sechs Wörtern. Im übrigen finde ich die Beschreibung dieser beiden Personen äußerst griffig. Sie stehen sozusagen vor mir, ohne dass es über Seiten zur Beschreibung von Personen geht, wie es Thomas Mann gern tut. Ich halte Coben für ganz großes Kino.

Und nun die kleine Einschränkung, von der ich aber vermute, dass die deutsche Übersetzung diesen Lapsus gebaut hat.

… noble Clubs, die ihn nicht wollen, neureiche Kunstausstellungen, schicke Wohltätigkeitsveranstaltungen

Ich freue mich sehr, wenn Kunstausstellungen heute schon über ein Bankkonto auf den Malediven oder den Caymans verfügen. Dann sind sie ja richtig neureich. Hallo, das geht nicht. Das sind Kunstausstellungen, bitteschön, für Neureiche. Aber zu diesem Thema kommen wir in dieser Woche noch.

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