Schweigt!

Ich kenne einige, auch Profis, die steif und fest behaupten, dass eine der schwierigsten Disziplinen  – wenn nicht die schwierigste – im Fach lupenreinfeines Deutsch die Schreibung von Verben sei. Ich stimme da zu. Die Kommasetzung ist mit Hilfe guter Bücher eigentlich locker zu bewerkstelligen. Die Groß- und Kleinschreibung ebenfalls. Andere Disziplinen wie dass und das sollte man mit leichtem Fuß beherrschen. Bei der richtigen Handhabung von zusammengesetzten Verben trennt sich die Spreu vom Weizen …

Denn man muss oft auch den Sinn des Satzes erfassen, an dem man gerade bastelt. Eine andere Schreibweise hat auch einen anderen Sinn.

Ich mache das heute einmal fest mit dem Ausschnitt aus einem Buch, das zu bearbeiten ich die Freude hatte. Sie sehen schon, dass der Duden Korrektor, dem Programm Word hinterlegt, anstreicht, um was es geht.

… dass sie zum jetzigen Zeitpunkt nichts weiter sagen konnte.

Hier lesen wir: Sie ist mit ihrem Latein am Ende, sie hat alles gesagt, was zu sagen ist. Sie kann weiterhin nichts sagen, nichts über das Gesagte hinaus. Dieses weiter ist ein normales Adverb, das der Duden so definiert: außerdem (noch), sonst: weiter weiß ich nichts von der Sache/ich weiß nichts weiter von der Sache er wollte weiter nichts als sich verabschieden. Zitat Ende.

Und jetzt schreiben wir erst mal so, wie der Duden Korrektur es uns nahelegt.

Abstecher: … nahelegt … Nur so geschrieben, zusammen. Getrennt nahe legt man etwas, wenn man etwas direkt neben jemanden legt: Er legte die Bibel nahe an seine. Nahelegen im Sinne von etwas herantragen, jemanden [indirekt] zu etwas auffordern, auf etwas hinlenken; empfehlen gehört zusammen. Ist nicht ganz leicht; ich gebe es zu.

Zurück zum Text jetzt schreiben wir es mal so, wie der Duden Korrektor es uns nahelegt.

… dass sie zum jetzigen Zeitpunkt nichts weitersagen konnte.

Hossa! Habt’s mi? In diesem Beispiel weigert sie sich zu tratschen. Das ist etwas vollkommen anderes. Sie weigert sich, anderen zu berichten aus dem Gespräch, das sie belauscht hat.

Zwischen weiter sagen und weitersagen liegen Welten. Kleine Eselsbrücke: Zusammengeschrieben verweist man eher auf die metaphorische Bedeutung zweier Wörter, die einen Sinn ergeben. Getrennt schreibt man, wenn man einen sehr nahe liegenden direkten Bezug herstellen kann. Und wir lauschen mal in ein Konstrukt hinein: „Komm mal runter!“ kann sagen: 01 Komm mal die Treppe runter, der Kuchen steht hier. Und 02: Es ist ärgerlich, dass es keinen Kuchen mehr gibt, aber jetzt reg dich ab, komm mal runter! Die Treppen-Nummer schreiben wir runter kommen; die Abrege-Nummer geht auf runterkommen.

Und ganz grundsätzlich, ich schrub das schon mal vor langer, langer Zeit: Wenn Menschen aus einem ganz anderen Sprach- und Grammatiksystem zu uns kommen und unsere Sprache sehr gut beherrschen, habe ich vor ihnen allergrößten Respekt. Damit meine ich Menschen aus der arabischen Welt, aber auch Türken, Ungarn oder Finnen, deren Sprachen komplett anders aufgebaut sind als unsere. Von Asiaten mal ganz abgesehen.

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In eigener Sache
Die tägliche Gabe an Homonymen ziehe ich weiter durch. Jeden Tag zehn. Indes: Allmählich gehen mir die Homonyme aus. Wahrscheinlich schaffe ich es nicht, bis zum Ende dieses Tagebuchs am 29. Juli 2021 in 7 verbleibenden Beiträgen mit jeweils 10 tagesfrischen …  Oder doch, wird sich zeigen.

__________ 10 TAGESFRISCHE HOMONYME __________

  1. Gau (war mal eine Verwaltungseinheit) vs. GAU (ist immer noch die Abkürzung für den Größten Anzunehmenden Unfall)
  2. anhaken (das Boot im Hafen von Athen unter Absingen von Nana-Mouskouri-Liedern an der Kaimauer befestigen, bei Laien auch: haken-ankern) vs. an Haken (was wir da alles an Haken an den Hacken hatten in Athen …). Mit Dank an Klaus H.
  3. auflassen (den Knopf nicht schließen) vs. auflassen (die Kinder nicht ins Bett bringen, bis der Weihnachtsmann wieder durch den Kamin entfleucht) vs. auflassen (die Ballons steigen lassen) vs. auflassen (ein Haus aufgeben). Es gibt sie noch, die feinen Vierspänner
  4. entbinden (die Mutter von einem Kind) vs. entbinden (den Bürgermeister von seinen Aufgaben)
  5. Krümel (fällt vom Brot) vs. Krümel (fällt fast vom Stengel, sehr zartgliedriges Kind)
  6. passieren (an jemandem vorbeigehen) vs. passieren (ein Ereignis, plötzlich) vs. passieren (mit dem Mixer die Tomate dazu bringen, zur Pasta zu passen. Das ist dann die Pass-Pasta-Passi-Tom) vs. passieren (dem vorgerückten Gegner auf dem Tennisplatz den Ball so an der Seite vorbeihauen, dass der nichts mitbekommt). Es gibt noch einen feinen Vierspänner
  7. Leiter (zum Putzen) vs. Leiter (Technikbauteil, gut oder schlecht im Weitertragen von Energie) vs. Leiter (Chef einer Truppe) vs. leit er! (sehr, sehr eleganter Imperativ mit sehr, sehr altmodischer Anrede. Aktuelles Beispiel: Leit er! Lachet nicht!). Probier ich gar nicht erst als Vier-Spänner. Einen mehr als (deudeu)
  8. ausgehen (abends um die Häuser ziehen) vs. ausgehen (die Kerze erlischt) vs. ausgehen (erwarten, dass etwas passiert. „Ich gehe davon aus, dass die Kerzen ausgehen, bevor Sie mit meiner Tochter ausgehen, sonst geht Ihr Licht vor Ihrem Einundzwanzigsten aus.“)
  9. zurecht (Verbbestandteil von -kommen oder -weisen oder -rücken) vs. zu Recht (da haben wir den rechtlichen Hinweis)
  10. Wachstube (Behausung für das Wachpersonal samt Bollerofen und Zigarettenautomat) vs. Wachstube (Behältnis, aus dem man ein Kerzenprodukt drücken kann). Leider nicht von mir, sondern von leetema.de, mit Dank

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Homonyme auf deutschmeisterei.de – Der Stand der Dinge
Ich habe die Homonyme abgekoppelt von den täglichen Geschichten. Ich werde nur noch 10 Homonyme pro Tag neu erscheinen lassen. Stand heute: 913. Das Haupt-Homonyme-Geschehen finden Sie auf einer eigenen Seite mit der URL https://www.deutschmeisterei.de/homonym_total/ oder auch ω Homonyme_total.

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