Edward und Franz Josef

130628_SnowdenFranz Josef Wagner ist seit gefühlten 150 Jahren ein Kolumnist der Bildzeitung; er mag es meist sehr gefühlig. Wagner, früher mal Chef von Bunte und Berliner B.Z, gilt oder galt als einer der Großschreiber des Landes: ein Urgestein des Journalismus und mit allen gut verdrahtet, die mal das Sagen hatten.

Gestern schrieb Wagner Edward Snowden an: jenen Herren, der derzeit den ersten Nachrichtenplatz der Welt bestimmt. Herr Snowden, einst Geheimdienstler der USA, hat enthüllt, dass Obamas Mannen die digitale Post der Welt abfangen und erst einmal lesen, ob sich da nicht Terrorist #45 mit Islamist #532 über irgendetwas austauscht. Und ob nicht der Knöpfchenhersteller Knöpflein aus Sigmaringen doch eine Entwicklung im Sack hat, welche die Konkurrenz aus der Savile Row, der Straße der Herrenschneider in London, interessieren könnte.

Wagner, immer auf der Seite der Verfolgten, sagt: Obama setzt Sie auf die Verbrecherliste Nr. 1. Und wir erfahren etwas, das wir bisher nicht wussten. Selbst bei der Verbrecherjagd macht die amerikanische Regierung noch Unterschiede: Auf der Liste Nr. 1 stehen Snowden und andere Staatsfeinde; die Liste Nr. 2 gilt wohl den Drogen- oder Drohnenhändlern. Auf Liste Nr. 45.423 stehen dann Menschen wie Sie und ich, die vielleicht mal versucht haben, guten Parmesan in die USA zu schmuggeln oder bei der Passkontrolle einen blöden Witz gemacht haben. Wir sind die Parias der Verbrecherlisten sozusagen.

Oder meinte Wagner vielleicht, dass Snowden auf der Liste der Staatsfeinde – mir nichts, dir nichts und sehr schwups – auf Platz 1 gerückt ist? Wir wissen es nicht. Der Text ist – in typischer Wagnerscher Kurzform* – manchmal nicht verständlich. Die USA haben Ihren Pass annulliert – kann man, bitte schön, einen Pass annullieren? Oder nur einen Vertrag? Keine Ahnung.

Die USA haben Ihren Pass annulliert. Punkt. Ihre Kreditkarten, Ihre Konten eingefroren. Punkt.

Dies ist der ultimative Kurz-Satz-Stil*. Den muss man beherrschen, um es menscheln zu lassen. Lesen Sie mal die letzten Sätze: Als Transit-Passagier sitzen Sie jetzt am Moskauer Flughafen. Punkt. Niemand hat sie gesehen. Punkt. Sie sind 30. Punkt.

Großes Kino? Fragezeichen. Oder nur eine Marotte? Fragezeichen. Und setzen wir dennoch in den Satz, der mit Niemand beginnt, das sie mit einem führenden Großbuchstaben bitte? So viel Zeit muss sein. Punkt. So viel Korrektur auch. Punkt.
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Non scholae … Unterm Strich was fürs Leben
* In der Syntax, der Wissenschaft vom Satzbau unterscheidet man grob zwischen zwischen der Parataxe und der Hypotaxe. Ein parataktischer Satzbau stellt Sätze nebeneinander: Hauptsatz, ein Nebensatz – Hauptsatz. Er schrieb dies auf, während das Wetter schön war. Die Kirchenglocken läuteten dazu. Er war zufrieden. Hypotaktisch gebaut, läse sich dieser Beispielsatz vielleicht so: Den Autor, wenig genervt vom nahen Geläut der Glocken von St. Johannis, konnte das Wetter versöhnen, das schon seit Tagen seine beste Seite zeigte. Hemingway gilt als parataktischer Schreiber, Thomas Mann eher als hypotaktischer. Franz Josef Wagner, auch als Gossen-Goethe bezeichnet, ist gewiss ein parataktischer, mehr noch: der Lehrmeister aller Parataktiker.

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