Meine Heimatzeitung, die Nürnberger, am Freitag. Stehe da bei meinem Drogenlieferanten, dem Espresso-Zauberer Enzo, und lese. Irgendein Durchgeknallter hat mit entsprechender Dosierung durch Alkohol einem anderen ein Messer ein paar Mal in den Bauch gerammt. Der andere ist tot.
Die Zeitung berichtet vom Prozess. Muss sie. Aber sie muss nachdenken über diesen Satz: Die Kammer ist davon überzeugt (alles korrekt bisher, der Spruch einer Kammer sagt das, was die Kammer glaubt), dass sich auch das 28-jährige Oper in der Tatnacht nicht gerade vorbildlich verhalten hat.
Da stutze ich. Ich stolpere über dieses … nicht gerade vorbildlich verhalten … genau über nicht gerade.
Herrschaftszeiten. Keine Kammer sagt so etwas. Juristensprache ist präzise. Man muss sie nicht mögen, aber am Ende des Spruchs einer Kammer bleiben keine Fragen offen, sollten keine Fragen offen bleiben. Ich habe keine Ahnung, was genau die Richter gesagt haben. Es könnte gewesen sein so etwas wie … hat den Angeklagten provoziert … gepöbelt … die Familie beleidigt … drohte an, die Freundin zu vergewaltigen … so etwas.
Ah, und weiter unten steht es ja auch: „nicht zimperlich“, sagen die Richter, schon besser, aber auch nicht präzise. Eine Situation, die eskalierte. Punkt.
Aber dieses … nicht gerade …, es ist so etwas wie ein negierender Euphemismus, also eine Verschleierung eines Tatbestands durch Wortgeklingel. Typische Euphemismen: Kollateralschaden für zivile Opfer im Krieg; Entsorgungspark für Müllkippe. Lassen Sie mal Folgendes bei sich klingeln: Reich ist er nicht gerade. Nüchtern war er nicht gerade. Besonnen war er nicht gerade. Was Sie lesen, hat mit der Wahrheit nichts zu tun: Er war bettelarm – sturzbesoffen – unbeherrscht.
Nun, die deutsche Sprache bietet nun nicht gerade wenig, um nicht gerade unpräzise zu sein. Und daher sage ich, am Montagmorgen nicht gerade überaus fröhlich gestimmt, dass diese Formulierung nicht gerade gut war.