Postmodern

Wir betrachten heute ein Phänomen im Wandel. Im ersten Bildchen sehen wir einen Briefkasten vor meiner Poststelle im Sprengel, in den ich jahrelang die Briefchen warf, immer vor 15:30 Uhr, dann konnte ich fast sicher sein, dass Finanzamt et altera am kommenden Tag meine Botschaft in der Hand hielt.

Im Mai 2019 tauchte diese Schrift auf dem Schlitz auf.

nur liebesbriefe

Ich dachte, da hat sich aber einer aus meinem Stadtteil viel Mühe gemacht, uns zu erfreuen. Herrlich, diese Graffitisten! Und warf neben Liebesbriefen auch weiterhin die Briefe ans Finanzamt ein – in der irrigen Erwartung, das Fnanzamt retourniere Liebesbriefe.

Ein paar Wochen später sah ich in der Stadt Briefkästen mit ähnlichem Schriftzug. Entweder hatte sich eine Nürnberger Briefkasten-Guerilla breitgemacht. Oder die Deutsche Post bereitete einen Postwertzeichenerhöhung (wunderbare deutsche Sprache, nicht wahr?) vor. Oder ω irgendwasvielleicht wollten interessierte Kreise, wie es so schön heißt, einfach eine moderne, den Menschen wieder zugewandte Post vom Untergrund aus schaffen.

Vor ein paar Wochen machte meine Post dicht. Ich hielt das, mit vielen meiner Sprengelgenossen, für eine Unverschämtheit. Für ein Einschreiben müssen wir nun drei Kilometer weiter fahren in einen anderen Stadtteil, die alte Post erreichte ich mit dem Radl zwischen Mittags-Espresso und Edeka. Könnte Greta nicht mal …?

Vorgestern musste ich wieder einen Brief einwerfen. Derselbe Platz, in die ehemalige Post zieht nun ein Zahnarzt ein.

Und das ist der Briefkasten.

Ein gelber Kasten, ein neuer Kasten, der gleiche Briefkasten, wenn man die Parameter Aufstellort und Leerungszeiten ansetzt, aber eben nicht derselbe. Ein gewienertes Ding, irgendwie hässlich in seiner Sauberkeit.

Nur wenn man genau hinschaut, sieht man noch die Kleberänder des Schildchens. Wie die dahin geraten sind, gehört für mich zu den Mysterien dieses Weibersommers.

Ich sehe nur eine Möglichkeit: Die Post hat die liebesbriefe-Kästen allesamt konfisziert. Die ganz schlechten Exemplare hat sie ausgetauscht, die etwas besser erhaltenen einfach nur ent-liebesbriefet und wieder aufgestellt. Ein Ding aus dieser Kollektion steht nun am Platz meines Briefkastens. So wird es gewesen sein.

 

 

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