Wie die Geissens den „Stern“ peinlich aussehen lassen

Gestern ist der neue Stern erschienen.  In seiner Titelgeschichte geht es um eine Familie namens Geiss, die der lebende Beweis dafür ist, dass man keine Bildung genossen haben muss, um reich zu werden. Aber das ist ja nun nichts Neues. Vor fünf Jahren hätte ich mich gefragt, ob es gut für den Stern sei, diese Ikonen minderen Geistes zu Titelfiguren zu machen. Heute frage ich mich das nicht mehr. Heute erkenne ich an, dass die RTL2-isierung gewonnen hat und Geist und Anstand weniger zählen als vor dem Stapellauf des privaten Fernsehen. Die Familie Geiss ist in diesem Proleten-Puzzle nur ein Teilchen. 

In der Deutschmeisterei geht es um Sprache. Wenn Sie denken, ich hätte einen Ausriss des aktuellen Stern-Titels gewählt, um zu fragen, ob man aus dem Familiennamen Geiss die Geissens machen darf, haben Sie sich getäuscht. Wer wollte es ihnen verwehren? Wer will RTL2 sagen, wie der Sender seine Beiträge nennt. Und wenn Herr und Frau Geiss mit ihren beiden Töchtern (die haben Vornamen, die keine Satire-Sendung erfinden darf) an der Côte d’Azur zum Hummerknacken aufscheinen, ruft jeder gepiercte Deutsche in Badelatschen, oberarmzeigendem Hemdchen, kurzer Hose und Trekking-Sandale auch nicht: Schau mal, da kommen Herr und Frau Geiss! Dann brüllt man: Da kommen die Geissens!  Wenn sie nicht sagen: Ey, Carmen, ey Robbi, wo sind Davina Shakira und Shania Tyra? – Sie ahnen, wer damit gemeint ist …

Nun, auch der Stern mokiert sich ein wenig über den proletigen Charme. Was sollte er auch sonst tun? Indes haben wir diese Form der Häme schon oft gelesen. Und es bleibt der üble Verdacht, mit diesen Wesen aus einer anderen Welt eine gute Auflage zu machen. Ist das schlimm? Nein. Es ist nur eine Frage des Niveaus.

Oben schon erwähnt: Darum geht es hier nicht. Lesen Sie doch bitte mal die Unterzeile! Die beginnt mit Reichtum obszön.  Und nun nehmen Sie doch bitte mal Ihre alten Grammatikbücher heraus und erklären Sie mir, wie diese beiden Wörtchen zusammenhängen. Wenn Sie es gefunden haben, durchstrahlt Sie Erkenntnis pur.  Halten wir den Titelzeilen-Textern mal zu Gute, dass sie eigentlich sagen wollten Dieser Reichtum ist obszön. Dann darf obszön nachgestellt werden, denn in dieser Konstruktion ist obszön ein Adverb – übrigens: immer ungebeugt – in Verbindung mit dem Hilfsverb sein.

Grammatikbücher alt.

Das ist die freundliche Erklärung. In der unfreundlichen haben wir es mit einem Fall übler Sprachschlamperei zu tun: In der unfreundlichen ist obszön hier ein Adjektiv, das an zwei Dingen gebricht: Erstens wird es nicht gebeugt – und Adjektive haben nun mal die Eigenschaft, dass sie gebeugt werden müssen. Und zweitens haben Adjektive die Eigenschaft, dass sie voranstehen. Reichtum obszön ist nichts als die sprachschlamperische Variante von obszöner Reichtum. Reichtum obszön ist nichts als der Einzug einer derartigen Sprachschlamperei auf den Titel eines seriösen Blatts. Dummes Ding, das.

Stern dumm.

Kongruent an diese Geschichte ist lediglich, dass die Geissens ebenso reden, wie der Stern titelt. Nur dass dies die – finanziell gesehen – armen Kerle vom Stern merken sollten. Den Geissens den Unsinn des ungebeugten, nachgestellten Adjektivs beizubringen, halte ich für undenkbar. Wer sich fragt, warum die Akropolis 2500 Jahre alt sein kann, obwohl wir doch erst das Jahr 2012 schreiben, kann vielleicht in Champagner baden, das Hirn wurde aber nie ausreichend mit Flüssigkeit versorgt.

Hirn tot.

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