Ich lese gerade ein hochinteressantes Buch. Das Buch heißt Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache. Wenn Sie es sich kaufen wollen – frisch erschienen, 29,50 Euro, 240 Seiten, Verlag de Gruyter, Interessierten sei es sehr empfohlen –, klicken Sie doch mal auf diesen Knupf.
Vier Professoren, jeder eine Koryphäe der Germanistik, haben zum ersten Mal überhaupt die Sprache zu Beginn des 20. Jahrhundert verglichen mit der Sprache von 1948 bis 1957 und mit der Sprache von 1995 bis 2004. Sie haben das tun können, weil sie mit digitalen Großrechnermittelchen ganze Korpora von Texten haben erfassen, durchschauen und vergleichen können. Von Lesen kann bei zehn Millionen Wörtern kaum die Rede sein. Für eine Untersuchung hat man gar eine Milliarde Wörter erfasst.
Die Wissenschaftler gehen dabei vier Fragen nach: (1) Gibt es in der Tat eine signifikante Änderung des Wortschatzes – verarmt die Sprache? (2) Gibt es eine Häufung von Anglizismen – verdenglischt die Sprache? (3) Gibt es eine Änderung bei der Flexionen – vereinfacht die Sprache? (4) Lassen sich mehr Streckverb-Gefüge (in Augenschein nehmen – in Betracht ziehen) feststellen – verkanzleistilt die Sprache?
Ich will Ihnen den Spaß an der Lektüre nicht nehmen. Spaß? Bei so etwas? Ja, die Autoren schreiben so, dass es Herr Jederfrau versteht. Fachbegriffe? Ja, sie kommen vor, aber man geht gut mit ihnen um. Ich will hier auch keine Ergebnisse vorwegnehmen – die stelle ich in der kommenden Ausgabe des Deutschen Sprachkompasses ausführlich dar. Die Abonnenten des Rundbriefs können sich auf einige Überraschungen gefasst machen. Das, was die Wissenschaftler dort an Erkenntnissen über die geschriebene – und auch redigierte – Sprache feststellen, ist wirklich sehr interessant. Es dürfte manche Diskussion verändern.
Im Bildchen oben sehen Sie eines der Ergebnisse der ersten Untersuchung – zu Änderungen des Wortschatzes. Sie lesen, welche Nomen in den Zeitabschnitten am häufigsten vorkamen: Jahr – Mensch – Zeit – Herr – Frau – Tag. Finden Sie langweilig? Dann schauen Sie mal, wie sich das Wort Herr macht. Und wie sich das Wort Frau macht. Und dann suchen Sie mal das Wort Gott in der zweiten und in der dritten Zeitscheibe (so nennt das Buch die Abschnitte). Das Wort Kaiser taucht in der ersten Periode erst auf Platz 57 auf. In der letzten Periode steht es nicht mal unter den ersten 100 – trotz Franz Beckenbauer. Dafür haben sich Prozent und Million nach vorn geschoben.
Partei und Arbeit kommen nur in der mittleren Periode vor. Nicht wirklich verwunderlich, aber nun haben wir es wissenschaftlich erwiesen. Und wenn Sie demnächst gefragt werden, über welche Körperteile die Menschen am meisten schreiben: Hand und Auge.