Sie lesen den Auszug aus einem Werk eines Autors, für den ich gern lese, dem ich gern sage, wie es besser gehen kann, dessen Fehler ich gern tilge. In diesem Absatz geht es um einen Mann in großer Verzweiflung. Er sieht nämlich, dass seine sehr geliebte Frau seinen besten Freund heimlich trifft. Sozusagen auf frischer Tat ertappt – in einem Café. Er denkt, dass er vorher klar gemacht hat, dass er der Herr im Ring, der King in der Koppel sei. Er hat einen Zaun um sein Revier gezogen, und auf dem steht: Finger weg oder ich schieße!
Im Brevier des Autors steht für diese Enttäuschung die Wortfolge Revier abgepinkelt zur Verfügung. Als ich das las, zuckte ich. Ich wollte das anmerken, nein, ich wollte es streichen. Ein Revier wird – waidmännisch oder auch weidmännisch gesprochen, beides richtig! – markiert. Ich hatte mein Revier doch für jeden sichtbar durch meine Hochzeit markiert. Das wäre der Satz gewesen, an dem niemand Anstoß genommen hätte. Einerseits.
Andererseits: Wie markieren Tiere ihr Revier? Sie pinkeln. Sie pinkeln in ihr Revier, sie setzen Duftnoten. Sie pinkeln ihr Revier ab. Du Feind, du, männlicher! Das ist meines! Bleib draußen oder du spürst mein Geweih, meine Fänge. Abpinkeln – das ist drastisch. Das ist viel besser. Und in diesem Roman geht es drastisch zu. Es geht um Blut, Schweiß, Sperma, Tränen. Es geht um große Gefühle und große Dramatik. Es geht um großes Kino!
Richtig ist die Entscheidung, diesen neuen Begriff stehenzulassen auch, weil der Autor danach den Satz schreibt: Was bildete sich dieser Schwanzlurch überhaupt ein? Ein Brüller! Es geht nicht um Löwen, es geht nicht um Hirsche, es geht nicht um majestätische Tiere. Es geht um einen Schwanzlurch. Hier steht Schwanzlurch gegen Schwanzlurch. Wie jämmerlich! Und wie wunderbar sexuell konnotiert – und genau darum geht es bei den beiden Kontrahenten auch. Die Art und Weise, wie der Autor den das Revierabpinkeln weiterführt, hat mich dazu gebracht, das nicht nur zu lassen, sondern es richtig gut zu finden. Eine erstklassiger neuer Ausdruck!