Was regnet es heute?

Noch sechs Tage bis zum ersten Geburtstag
der Deutschmeisterei

Wer Wein verkaufen will, leidet als Autor darunter, dass er beschreiben muss, was den Trinker auf der Zunge erwartet. Ich habe schon einmal die besonders blumige – und an die Schmerzgrenze gehende – Sprachgewalt eines Bruderpaars vorgestellt, das sich mit Wein befasst. Lesenswert! Verpasser Verpassthaber oder Noch-mal-Lesenwoller schauen bitte hier.

Das Hanseatische Weinkontor, eigentlich eine Contradictio in se, ein Widerspruch in sich selbst, (Hamburg ist ja eine der idealen Hanglagen mit Sommersonne im Übermaß …), will mir also die Sommer-Weine 2012 nachbringen. Und schreibt: Sommer, eine leichte Brise und dieser Rosé: strahlend rosa und herrlich fruchtig im Duft mit Noten von Himbeere, Erdbeere und Lychees. Eine leichte Süße und sein spritziges, vitales Perlen* machen ihn so unglaublich frisch. Das ist ein Sommerwein, wie er sein soll – als Aperitif oder für einen ganzen langen Abend auf der Terrasse oder dem Balkon.

Lesen Sie den letzten Satz noch einmal: … auf der Terrasse oder auf dem Balkon … Ich kann Ihnen sagen, was da passiert ist. Da hat der Schreiber erst getextet … auf der Terrasse ... Sein Chef fand das in Ordnung. Dann las der Controller von Hawesko zufällig den Text vor dem Versenden*. Und der Controller tobte: Wie kann man so etwas schreiben? Sollen sich jene Leute ausgeschlossen fühlen, die keine Terrasse haben? Wollen wir die als Customer nicht haben? In Deutschland haben nur 7,6 Prozent der Haushalte eine Terrasse … So kam der Balkon in den Text, aber erst nachdem man eine Konferenz darüber angehalten hatte, ob nicht auch der Schrebergarten hineinsollte und der Dachgarten und das Freibad. Der Controller: Wir müssen alle ansprechen … Sie merken schon, ich mag keine Controller … Aber um die soll es hier auch nicht gehen. Auch nicht um den 2011 Vaidoso Rosé.

Den werde ich nicht trinken, einfach, weil ich keinen Rosé mag, auch nicht bei 35 Grad im Schatten, da trinke ich einen leichten Weißen aus Südtirol – nach dem dritten Glas fühle ich mich im Himmel. Aber das soll hier nicht das Thema sein.

Es geht vielmehr um den geschickten Zug der Weinkontorler, diesen Wein in einer Zeit anzupreisen, in der es bundesweit Bindfäden regnete; das war in der vergangenen Woche noch so. Und da kommt noch mal mein Controller ins Spiel. Der hat nämlich auf der Konferenz 20120715_Vermarktung_Rosé in einer Zwei-Stunden-Power-Point-Präsentation gefordert, dass man im Marketing die aktuelle Wetterlage mit Starkregengefahr und Landunter-Warnungen unbedingt in die ungeheuer wichtige Vermarktung einbringen muss. Conclusio in einem Satz: Man muss die Customer abholen, wo sie gerade sind …

Und da die meisten potentiellen Customer im Regen steckten oder sich an der Ostsee im Hotel verbarrikadierten oder im Hunsrück oder Harz in Schutzhütten und überhaupt keine Gedanken verschwendeten an den Rosé aus Hamburg, kam Praktikant Peer (42, vier Studiengänge abgebrochen, BWL im 18. Semester) auf die Idee zu schreiben: Heute regnet es Rosé-Weine! Sie glauben das nicht? Dann schauen Sie sich doch mal das Bild an, ganz oben links. Da steht es. Ganz klein …
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Non scholae … Unterm Strich was fürs Leben
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Das Perlen und das Versenden in diesem Text sind ein besonders schönes Beispiel für ein sogenanntes substantiviertes Verb, besser: einen substantivierten Infinitiv. Im Deutschen kann man aus beinahe jedem Verb einen Infinitiv basteln. Oder auch: Das Basteln(!) eines substantivierten Infinitivs ist im Deutschen besonders einfach. Ich schreibe das hier, weil in der kommenden Ausgabe des Deutschen Sprachkompasses (erscheint: Anfang August), den ich verantworte, dies ein großes Thema sein wird. Wer sich über den Deutschen Sprachkompass informieren will, schaue bitte hier nach: www.deutscher-sprachkompass.de

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