Der klammheimliche* Stolz

Da läuft ein alkoholisierter und aggressiver junger Mann in Nürnberg am Bahnhof herum, trifft eine Gruppe Jugendlicher und schlägt mal eben zu. Opfer: ein ebenfalls alkoholisiertes Mädchen, das gottdank nicht allzu schwer verletzt wurde. So weit, so alltäglich in Deutschland.

Der Fall landete jetzt vor Gericht. Der Richter verdonnerte den jungen Mann dazu, in die Entziehung zu gehen, bevor er – er ist Wiederholungstäter – für ein Jahr einsitzt, ohne Bewährung.

Ich finde das nicht lustig, und ich finde es eigentlich auch nicht berichtenswert. Eben weil es deutscher Alltag ist. Meine Heimatzeitung, die Nürnberger Zeitung, sieht das anders. Links sehen Sie den Ausschnitt einer Meldung von gestern. Eine Meldung, so haben wir Journalisten das in der Ausbildung gelernt, hat sich vollkommen zu lösen von jeglicher Wertung des Schreibers. Sie sollten die fünf W erklären: Wann – was – wo – wer – woher (stammten die Informationen, wichtig: die Quellenlage). Punkt. Eine Meldung erzählt etwas in nüchternen Wörtern; sie gibt keine Meinung wieder.

Der Autor der Zeilen in der Zeitung hält sich daran nicht. Auch das wäre nicht berichtenswert, weil es öfter passiert. Diese Meldung wird erst zu einem Ereignis, wenn man genau liest, wo der Autor seine Meinung eingeschmuggelt hat, ich zitiere ihn: … Die Polizei hatte bei Dominic B. stolze 2,78 Promille festgestellt … 

Möglicherweise unterstelle ich dem Schreiber hier etwas Falsches. Möglicherweise ist das einfach durchgerutscht. Möglicherweise sagt man dies umgangssprachlich so, so wie man sagt: Der Knabe wog bei seiner Geburt stolze 3495 Gramm. – Der Porsche rast mit stolzen 275 Stundenkilometern über die Autobahn. – In diesem Jahr ergab die Pflaumenernte stolze zwei Zentner. In all diesen Beispielen schwingt Stolz mit, ja Anerkennung. Gegen diesen Stolz und die Anerkennung gibt es keine Argumente.

Dieses leichte Beifallklatschen lese ich auch bei der Formulierung stolze 2,78 Promille. Ich lese: Na, der kann aber saufen! – Dass der noch gerade stehen kann. – Das müssten ja mindestens acht Maß gewesen sein. – Herrschaftszeiten, das können nur wenige. – Ich kann es nicht. – Meinen Respekt! – Na, gut, er muss ja nicht gleich zuschlagen …

Hallo, Herr Autor, Sie mögen das ja so denken, aber schreiben müssen Sie es nicht. Was Sie denken, schadet niemandem. Etwas, das an die Öffentlichkeit gerichtet ist, wirkt. Hallo, es ist kein Verdienst, 2,78 Promille zu haben. Nichts, um darauf stolz zu sein. Und schon gar nicht, wenn der Kerl danach Menschen verletzt. Nichts, gar nichts!
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Non scholae … Unterm Strich was fürs Leben
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Das Wort klammheimlich ist ein merkwürdiges. Es wurde breiten Kreisen bekannt als Bestandteil des Begriffs klammheimliche Freude, mit der einen Göttinger Student 1977 den Tod von Siegfried Buback gefeiert hatte. Das Wort ist insofern bemerkenswert, als dass es pleonastisch ist wie ein weißer Schimmel, ein alter Senior oder der letzte Rest und tautologisch wie voll und ganz. Denn im Lateinischen heißt clam schon heimlich; aus clam wurde klamm; clam hat hat mit klamm, eng – so klamm wie in einer Gebirgs-Klamm –, wenig zu tun, sondern lautmalt nur wild herum.

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