Schauen Sie sich diese Überschrift doch einmal an. Die Internetausgabe von n-tv will uns sagen, dass ein Turner namens Marcel Nguyen aus Unterhaching quasi ohne Vorwarnung, ohne dass die Wetten ihn begünstigt sahen, die Silbermedaille geholt hat. Man titelt: N. erturnt sensationell Silber. Gibt es das Wort erturnen? Nein, der Duden sieht das Wort nicht vor, man kann turnen und sonst gar nichts.
Dieses Verb hat einige andere Bedeutungen – dazu lesen Sie bitte weiter unten. Aber dass sich jemand durch eine sportliche Übung etwas abholt, sich also etwas erturnt, ist in seiner Bedeutung neu. Überprüfen wir das mit anderen Sportarten. Er ergolft sich eine Medaille. Er erläuft sich eine Medaille. Er erschwimmt sich eine Medaille.
Geht alles, wie ich finde. Ist alles gut verständlich. Und da ich ein Verfechter starker, also ausdrucksstarker Verben bin, kann ich hier nur Beifall klatschen. Das Verb ist, wie ich finde, der stärkste Teil eines Satzes, und darum sollte jedes Verb schwingen, klingen, konnotieren, brüllen, Potenz haben. Und daher darf man auch Verben neu erfinden, respektive aus bestehenden Formulierungen neue Verben kreieren. In der kommenden Ausgabe des Deutschen Sprachkompasses, den ich beantworte, begründe ich, warum ein Verb wie dativieren möglich sein muss.
Nachtrag, 3. August: Und heißa, die Globalisierungbekämpfer von Attac kreieren in einer Stellungnahme zur deutschen Sprache ein neues Verb: anglifizieren. Danke für diesen Hinweis an den Verein Deutsche Sprache, VDS. e.V. Mit der Stellungnahme von Attac werde ich mich in der kommenden Woche beschäftigen.
Aber zurück zu erschwimmen und erlaufen. Wenn erturnen nicht im Duden steht, sollten diese beiden auch nicht im Duden stehen.
Pustekuchen. Erschwimmen und erlaufen stehen im Duden, und zwar genau in jener Bedeutung, die uns die Überschriftenmacher von n-tv nahelegen wollen. Also lernen wir, dass bereits gelernte Wörter wie erschwimmen und erlaufen mit ihren besonderen Bedeutungen durchaus neue Wörter inspirieren können. Erradeln sollte möglich sein, ergolfen, erfechten, erreiten, erwerfen, ersspringen (hoch wie weit wie pferd!) sowieso. Schwierig wird es lediglich bei Sportarten, die ein zusammengesetztes Verb beschreibt: Der erste FC Nürnberg erfußballert sich die Deutsche Meisterschaft geht nicht. Erkicken … ja! Frau Kerber ertennist sich ins Halbfinale. Hallo, das Wort heißt Tennis spielen.
Und nun nun zu den Bedeutungen des Wortes, das aussieht wie turnen: 1. sich durch Drogen, besonders Haschisch o. ä., in einen Rauschzustand versetzen. Da wird turnen törnen gesprochen und kommt aus dem Englischen. Wobei der Duden hier ein Beispiel verwendet, das ich so noch nicht kenne: Du brauchst dich nicht zu verstecken, wenn du turnst. Das ist nicht etwa bezogen auf Herrn N. aus Unterhaching, nicht auf einen Turner, sondern auf einen, der Drogen nimmt. Dächte man diesen aus falschem Lesen resultierenden Irrtum konsequent zu Ende, würde aus Turnvater Jahn der Drogenhändler ganzen Epochen.
Ich habe dann das Wort abturnen (sprich: abtörnen) gesucht und es auch gefunden. Nein, ich habe es nicht gefunden. Ich habe abturnen nur in dieser Bedeutung gefunden: a) zum letzten Mal in einem bestimmten Zeitabschnitt zum Turnen zusammenkommen: wir turnen morgen ab; <substantiviert:> das Abturnen beendet die Saison; b) durch Turnen bewirken, dass etwas abgebaut wird (z. B. [Über]gewicht, Muskelverspannung). Und wundere mich doch sehr, das Wort abturnen nicht in der Bedeutung etwas zieht mich herunter, etwas macht mich fertig gefunden zu haben.