Ach, was kann der Main dafür …

Hätten Sie mich vorher gefragt, ich hätte genau das Gegenteil angenommen: Ich hätte angenommen, dass norddeutsche Ausdrücke eher abgelehnt werden, während süddeutsche als schick gelten. Pustekuchen! Der sprachforschende Professor und Lehrer Prof. Dr. Hubert Klausmann – unterrichtet Germanistik an den Universitäten Bayreuth und Tübingen – hat jüngst das Gegenteil nachgewiesen.

Klausmann hat 250 Lehrern – Fach: Deutsch, Stufe: Gymnasium – aus Baden-Württemberg 40 Sätze vorgelegt, in denen Wörter aufschienen, die vom Duden als norddeutsch oder als süddeutsch gekennzeichnet werden – regionaler Ausdrücke mithin, Regionalismen. Manche würden sie auch als dialektal gefärbt und benutzt bezeichnen.

Zwei Beispiele: (1) Wenn ich als Ex-Hamburger in Franken sage Hier geht ja die ganze Kultur koppheister* wird man kopfschüttelnd fragen: Wie heißt’a?
(2) Wenn ein Franke  heute in zwölf Tagen in Hamburg sagt: Heute haben wir Pelzmärdl** weiß keiner, was der arme Franke meint.

Die Lehrer in Klausmanns Klausur haben vielleicht nicht derart extreme Sätze bearbeiten müssen, zumal der Pelzmärdl wirklich eine rein fränkische Angelegenheit ist. Sie sollten gängigere Sätze begutachten und sagen, welche Ausdrücke sie als falsch und welche sie als akzeptabel ansehen. Während die unter 50-jährigen Lehrer strenger verfuhren und Ausdrücke aus ihrer Region in Rot – als Fehler – anstrichen, zeigten sich die etwas älteren nachgiebiger. Beide Altersgruppen aber ließen mehr norddeutsche Ausdrücke durchgehen als süddeutsche. Die Nachricht des Tübinger Tagblattes dazu finden Sie hier. Und abermals Dank an den Verein Deutsche Sprache, der mich in seinem wöchentlichen Rundbrief (VDS Infobrief 124) auf diese Meldung aufmerksam gemacht hat.

Sie glauben nicht, dass es derart große Unterschiede gibt bei den Wörtern, die nördlich oder südlich des Mains gegeneinander weniger bekannt und im Alltag schon gar nicht gebräuchlich sind? Na, dann schauen Sie doch mal: Klippschüler – kloppen – Knicker – Klönschnack – klugschnacken  – kloppen – klötern –Kniepigkeit: klares Norddeutsch, und das sind nur zufällig Gefundene auf K. Und im Gegenzug: greislich – granteln – Gockel – gigerlhaft – Gewand – Geselchtes – gescheit – Germ – Gescherter: klares Süddeutsch, und das sind nur zufällig Gefundene auf G.

Himmelherrgott, aus eigenem Erleben: Bestellen Sie mal in Oldenburg in Oldenburg eine Johannisbeerschorle zu einem Laugenwecken! Sie kommen in Quarantäne bei Pinkel und den Knuststücken vom – siehe unten – Pelzmärdl-Brot 2011!

Ich empfinde das Thema als so inspirierend, dass ich mich in der Dezember-Ausgabe des Deutschen Sprachkompasses dieser Unterschiede annehmen werde. Ich werde Listen erstellen mit nord- und mit süddeutschen Ausdrücken und sie gegeneinander halten.
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Non scholae … Unterm Strich was fürs Leben
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Wenn etwas koppheister geht, geht es den Bach herunter. Der Duden sagt dazu: kopp|heis|ter <Adverb> [1. Bestandteil: niederdeutsch Kopp = Kopf, 2. Bestandteil vielleicht zu mittelhochdeutsch heistieren (< altfranzšösisch haster) = eilen] (norddeutsch): kopfüŸber: koppheister ins Wasser springen; koppheister schießen (einen Purzelbaum schlagen); koppheister gehen (bergab gehen, untergehen, vernichtet werden: Außerdem kann es auch der EU nicht gleichgüŸltig sein, ob eine Institution wie die Bankgesellschaft mit tausenden von ArbeitspläŠtzen koppheister geht [taz Berlin 4. 9. 2003, 22]).  Uhhh, da hat die taz, die Tageszeitung aus Berlin, aber einen norddeutschen Redakteur an den Text gelassen …
** Der Perlzmärdl, Schreibweise regional unterschiedlich (auch: Pelzmärtl, Pelzmärtel), ist der Heilige Sankt Martin, der Mann mit dem Mantel, der als Märtel (Martin) eben jenen mit dem Bettler teilt. Meine fränkische Gewährsfrau sagt dazu, es sei nicht klar, ob Pelzmärdl exakt den Heiligen beschreibe oder den Knecht Ruprecht. Gefeiert wird er jedenfalls (St. Martin ritt durch Schnee und Wind … singen die Kinder dann, und nicht: Pelzmärdl ritt …) am 11. November. Die Unsicherheit zwischen Heiligem und Knecht kommt auch im Duden zum Vorschein; der schreibt: Pelz|mŠär|te, Pelz|mŠär|tel, der; -[s], – [zu westmitteldeutsch pelzen = (ver)prŸügeln und MŠärte, MäŠrtel = sŸüddeutsche Koseform des Vornamens Martin] (süŸddeutsch): Knecht Ruprecht.

Nachtrag, 13. November 2012: In Franken kommt der Pelzmärtel. Der Mann, der die Kinder am 11. November besucht, heißt in Franken nicht St. Martin, sondern Pelzmärtel. Dieser Name ist nach der Reformation entstanden. Vor allem im evangelischen Mittelfranken werden noch heute die Kinder jedes Jahr am 11. November vom Pelzmärtel beschenkt. Beim Roßtaler Martinimarkt duftet es an diesem Tag immer nach Glühwein und es wird vorweihnachtliche Musik aufgeführt. Der Höhepunkt ist aber jedes Jahr der Auftritt von Hemmeter als Pelzmärtel kurz nach 14 Uhr. Mit einer alten Kutsche kommt er angefahren und verteilt an die Kinder Süßigkeiten. Wer der Pelzmärtel aber ursprünglich ist, woher er kommt und wie er wirklich geschrieben wird, darüber herrscht unter den Franken alles andere als Einigkeit. Die einen nennen ihn „Belzmärtel“, andere „Bälzamäddl“. Mal ist von einer finsteren Gestalt die Rede, weil „pelz“ oder „pelzen“ im Westmitteldeutschen für prügeln steht. Andere glauben an einen „Martin im Pelz“. Denn der fränkische Kosename für Martin lautet „Märtel“.
Dank dafür an die Leserin Emilie Bernet.

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