Noch und nöcher

130603_NochFreiburg

Eben noch in Hintertux, heute am Times Square. Mal so eben noch mit der Selbstanzeige einem Aufenthalt in Stadelheim entgangen, heute lachend auf der Tribüne in Wembley. Dennoch hat Herr Hoeneß ein noch ungelöstes Problem.

In den drei Sätzen finden wir das feine Adverb noch, das es beinahe unverändert aus dem Althochdeutschen ins 21. Jahrhundert geschafft hat: Früher noch noh, heute noch.

Aber wir finden es in zwei der Bedeutungen, von denen der Duden 15 summiert: Einmal in der Bedeutung bevor etwas anderes geschieht – einmal als Beschreibung eines Zustandes, der anhält. Noch ist ein Multifunktions-Adverb, das sehr unterschiedlich konnotiert wird. Ich habe noch genau 2,34 Euro im Portemonnaie – Ich habe Herrn Hoeneß noch gekannt, als er noch in Nürnberg Bratwürste verkaufte – Damals war er noch reizender als Herr Beckenbauer, der heute nur noch Becken baut – Beide greinten noch so arg über ihre noch so argen Finanzsorgen.

Manchmal aber steht das Adverb direkt bei Nomen. Kommt das oft vor? Eher selten; Nomen sind eher das Biotop für Adjektive. Aber ein Satz wie Er will noch Becken bauen. ist denkbar. Wenn man aber sagen will, dass jemand nur noch eine kurze Zeit irgendwo ist – zum Beispiel als Fußballer in Freiburg –, dann spielt er zwar noch in Freiburg. Aber er ist kein noch Freiburger, lieber Spiegel. Dem entnahm ich das Bildchen oben. Dann zieht man das Noch zum Nomen; es wird nominalisiert zum Noch-Freiburger oder zum Nochfreiburger oder sogar zum Noch-freiburger. Über die letzte Variante war ich erstaunt. Ich zitiere den Duden, ihm keinen Schreibfehler unterstellend: einen bestimmten Rang, Status o. Ä. nicht mehr lange innehabend: Nochintendant, Noch-vorsitzende; die wahrscheinlichen Nachfolger des Noch-KP-Chefs.

Noch und nöcher, die lockende Fügung aus der Überschrift übrigens, finden wir auch im Duden; sie wird als scherzhaft und umgangssprachlich bezeichnet.

Und noch (! drückt aus, dass etwas Gleichartiges hinzukommt) einen Nachtrag zur Geschichte über die Damen Wissenschaftlerinnen in Leipzig, die Ihresgleichen – weiblich wie männlich – nur noch in weiblicher Form aufscheinen lassen, schauen Sie hier. Der Spiegel, ja, der mit dem falschen noch, schreibt heute im Nachgang zur ersten Geschichte diesDie Hochschule – gemeint: Leipzig, ML – ist allerdings nicht die erste, die den Spieß in der sprachlichen Rollenverteilung umgedreht hat: An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) galt bis zum Februar eine Promotionsordnung für Mediziner und Zahnmediziner, in der ebenfalls das sogenannte generische Femininum verwendet wurde. Es standen darin Sätze wie: „Die Doktorandin zeigt der Präsidentin das Projekt vor dessen Beginn in der Form der Anlage 1 an.“ Das klingt auch darum skurril, weil die damalige „Präsidentin“ ein Mann war. Der hieß Dieter Bitter-Suermann und hatte offenbar kein Problem damit, in dem Dokument in der weiblichen Form mitgemeint zu sein.

Hannover muss ein merkwürdiger Ort sein: Eine Geistliche fährt betrunken Auto, ein Ministerpräsident heiratet die falsche Frau, ein Strukturvertriebs-Guru mit Schnauzbart steigt zum Vorbild auf, ein Prinz pinkelt wild, eine Sängerin verplappert sich bei der Punkte-Verkündigung des Grand Prix – und ein Mann mit Doppelnamen lässt sich als Frau anreden. Hat der zu viel von den Skorpions – auch ein Irrtum aus Hannover übrigens – gehört?

*Anzeige: Die Seite enthält Links zu mehreren Webseiten, auf denen Sie Bücher bestellen können. Hierbei handelt es sich um Werbung. In eigener Sache zwar, aber Werbung bleibt Werbung, weshalb ich Sie an dieser Stelle darauf hinweise.