Die neue deutsche „Entnegerung“ durch Geschmackslinienrichter

2013-01-19 21.23.15

Sie sehen schon, Zensoren-Tätigkeit an Ottfried Preußlers „kleiner Hexe“ zieht weitere Kreise. Die geschätzte Süddeutsche schreibt über eines der inkriminierten Wörter, wichsen, ein Aktuelles Lexikon. Und der kluge Deutschlandfunk hat seinen freien Autoren Burkard Meier-Ullrich von der Leine gelassen. Ich darf daraus gekürzt zitieren – alles sehr fein gesagt, wie ich finde – , den kompetten Text finden Sie hier.

Die Sprache ist eine alte Verräterin. Sie verrät immer mehr, als man eigentlich verraten will, denn sie unterliegt nur zum Teil unserer Kontrolle. Daher kommt ja die magische Kraft der Dichtkunst, dass Worte plötzlich einen Weg zum unbewussten weisen. Und wer hat noch nicht die peinliche Erfahrung gemacht, welche Sprengkraft ein gedankenlos gebrauchter Ausdruck entfalten kann?

Man muss also vorsichtig sein beim Reden und Schreiben. Aber wie vorsichtig? Es gibt ja auch eine wild gewordene Sprachpolizei, die ihre richtige Gesinnung gern zu völlig unnötigen Machtdemonstrationen benutzt. Es gibt eine sich immer weiter ausbreitende Sprachpest der Political Correctness, die sich in selbstgerechten Abmahnwellen äußert, weil es nichts Schöneres gibt, als anderen über den Mund zu fahren und diesen zu verbieten.

Die Säuberungskampagne, die derzeit etliche Kinderbücher erfasst, gehört eindeutig zu den üblen Beispielen von gedankenlosem Aktionismus, der sich im falschen Glanz seiner bigotten Moralität spreizt. So wie es schon seit geraumer Zeit keine Negerküsse und keine Mohrenköpfe mehr zu kaufen gibt, obwohl immer noch eine Menge Apotheken ihren Mohren-Namen tragen und auch Heinrich Heines Mohrenkönig noch nicht zwangsumgetauft wurde, so wurden jedenfalls der Negerkönig aus Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf und die Negerlein aus Otfried Preußlers „Kleiner Hexe“ hinwegeskamotiert, damit die jungen Leser von dem bösen N-Wort nicht vergiftet werden.

Tatsächlich hat die Bezeichnung Neger einen ähnlich raschen und radikalen Bedeutungswandel durchgemacht wie Salisbury, das zu Harare wurde, Chemnitz zu Karl-Marx-Stadt (und wieder zurück), Eskimos zu Inuit und Sekretärinnen zu Sachbearbeiter-Schrägstrich-innen. Es gibt keine Neger und keine Zigeuner mehr, weil ihnen früher Böses angetan wurde und sie sich durch die Benennungen daran erinnert fühlen. Es gibt keine Putzfrauen mehr, weil schon in der Tatsache, dass Frauen ihren Lebensunterhalt durch Putzen verdienen, etwas Diskriminierendes liegt. Die korrekte Tätigkeitsbezeichnung lautet: Raumpflegefachkraft

Dagegen ist die Entnegerung einiger Kinderbücher fast harmlos. Sie ist ja vor allem eine kommerzielle Operation, mit der ein datiertes Stück Literatur in eine künstliche Zeitlosigkeit versetzt werden soll – als ob man nicht auch Kindern ein Geschichtsgefühl vermitteln könnte, das den einfachen Zusammenhang: ‚Früher sagte man Neger, aber heute besser nicht‘ umfasst

Hinter dieser entspannten Mitteilung steckt wahres Kulturbanausentum. Denn wenn dieses Kriterium gilt, dann sind dem Modernisierungswillen der Geschmackslinienrichter keine Grenzen gesetzt: Dann findet man sicher auch auf Gemälden Elemente, die für das Gesamtgefüge „nicht wichtig“ sind, und aus allen Kunstwerken können Anstößigkeiten jeder Art wohlmeinend-pädagogisch eliminiert werden: die Rollenklischees in „Minna von Barnhelm“, der Antisemitismus im „Kaufmann von Venedig“ und der Rassismus im „Othello“.

 

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