Ich brauch dringend ’nen Weekender …

Jemand, der ein solches Tagebuch schreibt, offen gegen Anglizismen kämpft und sich für ein kraftvolles Deutsch einsetzt, hofft natürlich, gerade im engen Kreis Gehör zu finden und eine, wenn nicht demonstrativ kämpfende, so doch überzeugte und rücksichtsvolle Anhängerschaft um sich zu haben. Man hofft das. Steht dann aber abends in der Küche und hört aus jungem Mund: Ich brauch dringend ’nen Weekender.

Schnappatmung. Fast wollte das gerade im Reinigungsprozess befindliche Weinglas beim Wienern aus der Hand gleiten. Einen was …?

Ich habe das Wort noch nie gehört. Noch nie! Erst aus dem Zusammenhang erschloss sich der Sinn: Der Wochenender ist nicht etwa ein Geliebter/eine Geliebte fürs Wochenende, der Weekender ist auch kein Zug, der nur am Wochenende fährt. Der W. ist vielmehr eine Tasche, die gerade mal so groß ist, dass sie Rasierzeug, Ersatzhose, Dessous, Zahnputz- und Haarbürste für ein Wochenende aufnimmt. Sozusagen eine Reisetäschlein der Größe unterhalb jener, die man als Koffer/Tasche/See- oder Rucksack bezeichnet – damit bliebt der Reisende in den Landesgrenzen, räumlich und vor allem sprachlich.

Übrigens, die Tasche, die jetzt in der Küche präsentiert wurde, hatte den Charme aus „Ich-lese-noch-Wendy„-Zeiten, Strandbad der 80er Jahre und Jutesack, bedarf also wirklich dringend des Ersatzes.

Mein Erstaunen weitete sich dann, als ich diese fünf Dinge eruierte:
Erstens sagt Google, dass es glatt 21,5 Millionen Hinweise auf weekender gibt, sogar einen österreische Seite die weekender.at heißt, und eine weekender.com-Seite für das gleichnamige Magazin.
Zweitens
 erklärt die Seite gofeminin.de das tragende Teil so (die Auffälligkeiten dieses kurzen Textes sind in grün markiert): Weekender sind im Trend! Warum muss hinter einem Aussagesatz ein Ausrufezeichen stehen? Mit ihrer Größe sind die lässigen Taschen die idealen Reisebegleiter für den spontanen Kurztrip. Und für den von langer Hand vorbereiteten Kurztrip nimmt frau was? Jene 36 Koffer, mit denen Marlene Dietrich reiste? Wo Das Fragewort „wo“ als konditionale Präposition hat seinen jürgenklinsmann’schen Reiz: „Die Frau, wo ich Kind war …“, hier besser: „wenn“ … „falls“ … der Koffer zu groß ist und der Rucksack nicht wirklich stilecht, eignen sich Weekender besonders gut zum Verstauen der wichtigsten Habseligkeiten. Als würde frau samt weekender mit ihren Habseligkeiten reisen – mit Habseligkeiten reisen Verfolgte, keine weekender auf Kurztrip. Und: Sind nicht Habseligkeiten immer die „wichtigsten“ Sachen, die an einem tragischen Punkt eines Lebens bleiben. Die Texterin meinte sicherlich: Siebensachen Es gibt sie in allen erdenklichen die Texterin meinte sicher „denkbaren“/“möglichen“; es reicht zu sagen: in allen … Varianten. Ob groß oder klein, aus Stoff oder Leder, in Schwarz oder Knallpink richtig: in schwarz oder knallpink – eins haben sie alle „alle“ kann man streichen, ohne dass der Satz an Fahrt verliert, die er ob der Gemeinplätze nur mühsam aufnimmt gemeinsam: Sie haben das Zeug zum Lieblingsstück! Danke, gofeminin.de … (Tipp: Wenn Männer Frauen nicht verstehen, ist diese Seite immer fein, vorausgesetzt, mann (!) will etwas verstehen, was Frauen manchmal auch nicht verstehen, den weekender zum Beispiel)

Drittens sagt der Duden über die Wochenend-Tasche oder Wochenendtasche dies: nichts.
Viertens sagt der Anglizismenindex (siehe meinen Tagebucheintrag vorgestern, klicken Sie hier) über den Kleinkoffer dies: nichts.
Fünftens sagt das englischen Lexikon dict.cc, der weekender sei der Wochenend-Ausflügler. Wenn der reise, habe er einen weekender bag dabei. Aber hallo! So wie es im Englischen kein Handy gibt und Public Viewing eine deutsche Wortbildung ist, die der Angelsachse nur uns kennt und eigentlich so etwas wie eine Leichenschau erwartet, kennt der gemeine Brite oder Amerikaner auch keinen Weekender, es sei denn der atmet und wandert und macht den Ballermann unsicher. Der deutsche weekender, der im Englischen weekender bag heißt, ist nichts als eine Wortmalung jener Branche, die – neben dem Marketing – am ehesten verdächtig ist, Unsinn abzusondern, sprachlichen: der Mode-Branche.

Und sechstens werde ich diesen Text an die Verantwortlichen des Anglizismenindex‘ schicken, damit dieses merkwürdige Wort, das augenscheinlich verbreiteter ist als ich wahrzunehmen gewillt war, in den Index aufgenommen werde, in der kommenden Ausgabe.

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